Thomas Kleemann

Anmerkungen zur Malerei Thomas Kleemanns


Das Erste, was beim Betrachten der Bilder Thomas Kleemanns ins Auge fällt, ist ein breiter, schraffurhafter Pinselstrich. Quastenartig, pastos, bestehend aus satter Binderfarbmasse und überkront mit Siliziumasche, ergibt er eine reliefartige, mit allen Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß spielende Architektur.


Diese Grundstrukturen und ihre Grauvarianten sind die Basis für eine faszinierende Impression von Tiefe; sie imaginieren dreidimensionale Räumlichkeit in der Fläche des Bildträgers - so plastisch und so intensiv, dass der Blick des Betrachters buchstäblich in die Tiefe der Räume eingesogen wird.


Trotz der Plastizität des Farbauftrags bleiben die Bilder durchsichtig, sind sie vielschichtig, erscheinen sie spielerisch. Durch die Zufügung von selten mehr als einer leuchtkräftigen Farbe - lichtdurchflutetes Gelb, strahlendes Kobaltblau, glutvolles Rot-Orange, irdene Brauntöne - entstehen verrätselte Farb- und Lichträume: weder real noch virtuell, vielmehr imaginative Räume, die auf geheimnisvolle Weise im spontanen Malakt aus der Intuition des Künstlers entstehen. ( ... )


Wer will, wer seinem konventionellen Auge folgt und Bildtiteln traut, sieht in den Bildern Bücher, Avenuen, Häuser, Hangars, Bahnhöfe, Fenster, flaches Land.... Eine solche Wahrnehmung ist zulässig, verengt aber doch den Blick und wird der Malerei nicht gerecht.


Kleemanns Bilder sind eben keine Abbilder, haben keine realen Objekte im Sinn. Sie sind ebenso wenig realistisch wie abstrakt, vielmehr sind sie reine Produkte seines malerisch-kompositionellen Wollens und Könnens.


Anders gesagt: Diese Bilder, die in keine Stil- und Richtungsschublade passen, können getrost als transversale Malerei betrachtet werden. (...)


Björn Engholm


Auszüge aus:

Anmerkungen zur Malerei Thomas Kleemanns,  

Katalog: Thomas Kleemann,

Malerei 1985 - 2005,

Ostholstein-Museum

Mindsight


Thomas Kleemann entwickelt seine malerische Welt kontinuierlich weiter. Die neuen Arbeiten überraschen uns wieder bei aller Folgerichtigkeit der Genese.


Bereits die frühen Werke der 1990er Jahre zeichneten sich durch den Doppelklang aus gestischer Freiheit und gebauten Strukturen aus. Dann verdichteten sich die Strukturen zum wieder erkennbaren Gegenstand unserer optisch erfahrbaren Welt. Die Situationen waren nie erzählender Inhalt, sie waren von Gesehenem, Erlebtem inspiriert, um im langwierigen Arbeitsprozess die Transformation in reine Malerei zu vollziehen. Kleemanns Gemälde mögen assoziativ Stimmungen beim Betrachter evozieren, aber Farben, Nuancen, Gewichtungen und Strukturen bannen letztlich die Beobachtung, um in andere Welten zu verführen.


Mit der neuesten Werkgruppe „mindsight“ geht Kleemann selbst in die Welt des „kollektiven Bildgedächtnisses“, die zwar subjektiv erlebt, aber da in jedem Individuum vorhanden, auch wieder intersubjektiv nachvollziehbar wird.


Weiterhin entstehen im Malprozess Architekturen und Landschaften, die gleichsam aus einem Archiv von Urbildern aufsteigen. Sie erscheinen vor dem geistigen Auge, ergeben die perfekte Symbiose der subjektiv einzigartigen Erlebniswelt und verbindlicher Bilder. Deshalb erscheint dem Betrachtenden das Gemälde seltsam vertraut, der Blick haftet, die Bilderreise hebt an und vollzieht sich.


Das alles ist freilich nur möglich, weil durch intensive malerische Arbeit über 25 Jahre eine Fähigkeit gewachsen ist, die wir ein malerisches Denken nennen könnten. Nicht im kognitiv analytischen Entwurf „realisiert“ sich dieser Prozess, sondern im Schaffen selbst. „Il faut réaliser le monde“ hat Paul Cézanne diesen Vorgang genannt. In ihm sublimieren sich viele Jahre des Erlernens, auch der handwerklichen Grundlagen, des Anwendens im Bewussten, des Übens und endlich des Erschaffens.


Dr. Ingeborg Besch

Thomas Kleemann‘s artistic world is constantly developing. And for all the consistency of their origins, his new works surprise us again.


Back in the 1990s his early works were already characterized by the duality of gestural freedom and built structures. Subsequently, the structures condensed into the recognizable subject of our visually perceptible world. None of the situations had a narrative content; they were inspired by something seen, experienced – subsequently to be perfected into pure painting in aprotracted process of transformation. Kleemann‘s paintings may evoke associative moods in the viewer, but colours, nuances, weightings and structures ultimately capture the observation, luring us into other worlds.


With the latest group of works, entitled „mindsight“, Kleemann himself enters the world of „collective visual memory,“ which, although subjectively experienced, can also be intersubjectively understood, since it exists in every individual.


Furthermore, architectures and landscapes emerge during the painting process, seeming to rise up from an archive of archetypes. They appear in the mind‘s eye, leading to a perfect symbiosis between the subjectively unique world of experience and engaging images. The painting therefore appears strangely familiar to the viewer; his attention is caught: the pictorial journey begins and completes its course.


All this is, of course, only possible because – as a result of over 25 years of intense painting work – an ability has grown that might be called thinking by painting. This process is „realized“ not via a cognitively analytical draft, but in the creative process itself. Paul Cézanne said of this process: „Il faut réaliser le monde.“ Many years of learning are sublimated in this process, including the learning of manual principles, of conscious application, of practice and, finally, creating.


Dr. Ingeborg Besch

Ungeschehene Orte - Thomas Kleemann | 09.09. - 07.10.2021


Wer die illusionistischen Räume aus Architektur- und Naturfragmenten von Thomas Kleemann (*1954) kennt, weiß, hier handelt es sich keinesfalls um Ideen von Landschaften, und doch besitzen diese Szenen eine so intensive, plastische Wirkung, dass man den Blick unendlich wandern lassen möchte. Als Meisterschüler von Johannes Geccelli (UdK 1981) von der Abstraktion kommend, verdichtet er seit den 1990ern seine Farbstrukturen und Reliefs aus Siliziumkarbit auf der Leinwand so, dass erkennbare Gegenstände und, mit ihnen, dem Menschen vertraute Welten auftauchen. Dennoch ist hier keine Realität. Was der Künstler uns zeigt, liegt jenseits. Es scheint, als wären hier andere Wirklichkeiten geschaffen, tief und geheimnisvoll. Die Architekturen ebenso wie die landschaftlichen Bezüge in seinen Gemälden sind hingegen geradezu archetypisch: Brücken, Häuser, Treppen, Ufer, Gebirge, die See. In verrätselte Farb- und Lichträume* gefügt, erweitern sie das subjektive Bilderlebnis hinein in den Bereich des kollektiven Bildgedächtnisses. Auf diese Weise öffnen Thomas Kleemanns Werke eine Tür zurück in Vorstellungsräume einer weit zurückreichenden Kulturgeschichte. Möglicherweise erscheint es deshalb, als würden die Gemälde weniger den Raum als vielmehr die Zeit sichtbar machen. Obwohl die meisten von ihnen keine Menschen zeigen, so sind sie nicht menschenleer. Im Gegenteil scheint alles vom menschlichen Geist bewohnt, ja, für ihn vorgesehen, um durchstreift zu werden.


Thomas Kleemann, Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, Casa Baldi, und Karl-Hofer-Stipendiat, ist seit 1985 freischaffend als Künstler tätig und lebt und arbeitet in Berlin und Melz/ Müritz. Er verzeichnet zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in namhaften Kunstvereinen, Galerien und Museen unter anderem in Berlin, Hamburg, Potsdam, Düsseldorf, Saarbrücken, Mannheim, Dresden, Kiel, München wie bspw. Einzelausstellungen im Ostholstein-Museum (Eutin), Kulturforum Villa Oppenheim (Berlin) oder dem Rosenhang Museum (Weilburg) sowie Präsentationen auf Kunstmessen, darunter Nord Art, Kunstmesse Düsseldorf, ART Innsbruck, art Karlsruhe und der POSITIONS BERLIN ART FAIR.


Maria Wirth

Undone places  - Thomas Kleemann | 09.09. - 07.10.2021


Anyone who knows the illusionistic spaces with fragments of architecture and nature by Thomas Kleemann (*1954) knows that these are by no means ideas of landscapes, and yet these scenes have such an intense, three-dimensional effect that one would like to let one's gaze wander indefinitely . Coming from abstraction as a master student of Johannes Geccelli (UdK 1981), he has been condensing his color structures and reliefs made of silicon carbide on canvas since the 1990s in such a way that recognizable objects and, with them, familiar worlds appear. But there is no reality here. What the artist shows us is beyond. It seems as if other realities were created here, deep and mysterious. The architecture and the landscape references in his paintings, on the other hand, are downright archetypal: bridges, houses, stairs, banks, mountains, the sea. Assembled in enigmatic color and light spaces, they expand the subjective image experience into the area of ​​collective image memory. In this way, Thomas Kleemann's works open a door back into the imaginary spaces of a far-reaching cultural history. It may therefore appear as if the paintings reveal not so much space as time. Although most of them do not show people, they are not deserted. On the contrary, everything seems to be inhabited by the human mind, indeed intended for it to be roamed.


Thomas Kleemann, scholarship holder of the Deutsche Akademie Rome Villa Massimo, Casa Baldi, and Karl Hofer scholarship holder, has been working as a freelance artist since 1985 and lives and works in Berlin and Melz/Müritz. He has had numerous solo and group exhibitions in well-known art associations, galleries and museums, among others in Berlin, Hamburg, Potsdam, Düsseldorf, Saarbrücken, Mannheim, Dresden, Kiel, Munich, such as solo exhibitions in the Ostholstein Museum (Eutin), Kulturforum Villa Oppenheim ( Berlin) or the Rosenhang Museum (Weilburg) as well as presentations at art fairs, including Nord Art, Art Fair Düsseldorf, ART Innsbruck, art Karlsruhe and the POSITIONS BERLIN ART FAIR.


Maria Wirth